Die Medienwerkstatt lud am 23. April 2021 zu einem Online-Meinungsaustausch ein, in dem über den Status Quo und die Bedarfe der (digitalen) Jugendarbeit in Potsdam gesprochen wurde. Mit dabei waren für den Arbeitskreis Potsdamer Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen (AKKJ) Elena Riese vom Mädchentreff “Zimtzicken” und Benjamin Riese vom Jugendclub “Alpha”. Außerdem ergänzten Julia Schultheiss vom Stadtjugendring Potsdam und Sebastian Müller vom Fachverband Jugendarbeit / Jugendsozialarbeit Brandenburg die Sicht auf die Dinge durch ihre städtische bzw. landesweite Perspektive. Von der Medienwerkstatt waren die Bildungsreferent:innen Ute Parthum, Katja Altenburg und Uwe Breitenborn dabei. Wir wollten genauer erfahren, wie Corona die Jugendarbeit verändert hat. Ist sie digitaler geworden? Was läuft gut in Potsdam, was nicht? Wo geht es in Zukunft mit der Jugendarbeit hin?
Ja, Corona nervt mittlerweile gewaltig! Allen ist klar, dass die Krise mit ihren Einschränkungen die Jugendsozialarbeit verschärft und vor große Probleme gestellt hat. “2020 war es so, als würde man gegen eine Wand rennen”, so Julia Schultheiss. Bekanntermaßen scheint in der Krise immer auch das Rettende auf.
Und so wurden im ersten Lockdown digitale Tools durchaus als geeignete Mittel begrüßt, die einsetzenden Kontaktbeschränkungen zu überwinden, den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufrecht zu erhalten. Instagram und Co, Videochats, Messengerdienste, online zusammen spielen, vielleicht auch mal ein Podcast? Dieser anfängliche digitale Entdeckergeist ist mittlerweile einer „digitalen Müdigkeit“ gewichen. Oder nennen wir es ganz einfach Erschöpfung. Aber trifft diese Diagnose den Kern des Problems?
Digitale Müdigkeit?
Benjamin Riese berichtet beispielsweise, dass beim Jugendclub “Alpha” viel ausprobiert und experimentiert wurde, die Social-Media-Arbeit wurde aufgepeppt, Beratungsangebote liefen teils über digitale Tools, die Sichtbarkeit des JC wurde auch im eigenen Interesse besser. Aber die digitale Interaktivität der Kids hinsichtlich ihrer Jugendeinrichtungen lässt teilweise auch wieder nach. Auch beim Mädchentreff “Zimtzicken” waren ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Woran liegt’s? An Engagement und gutem Willen mangelt es in den Einrichtungen nicht – im Gegenteil. Chancen werden gesehen. Digitale Jugendarbeit bedeutet einen partiellen Transfer bisheriger Arbeitsweisen in den digitalen Raum. Das kann gute Effekte bringen – Zeitersparnis, Distanzschmelze, bessere Verfügbarkeit. Das größte Kapital der Jugendarbeit ist aber, so Sebastian Müller, der Aufbau von (engen) Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen, was mit den digitalen Tools nur bedingt umsetzbar, aber auch nicht ausgeschlossen ist. Nähe und Zugewandtheit sind das A und O. Es ist aber nicht nur eine Frage, ob Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendeinrichtungen netzaffin und persönlich interessiert an solchen digitalen Arbeitsfeldern sind, sondern ob sie dafür auch die Ressourcen haben. Zwei Stellen in einer Einrichtung sind eben zu wenig, um den hohen Anforderungen einer beziehungsintensiven Jugendarbeit nachzukommen. Wird dann noch jemand krank – Gute Nacht! Auch die Forderungen seitens Politik und Verwaltung nach mehr Digitalisierung sind ernst zu nehmen. Unserer Auffassung nach müsste es idealerweise in jeder Einrichtung oder bei dem Träger zumindest einen Mitarbeitenden geben, der sich professionell um technische Fragen, DSGVO- Aspekte, um Digitalformate und Web- und Social-Media-Hostings kümmern kann. Derzeit tun dies die Fachkräfte quasi „nebenbei“ oder „zusätzlich“. Ein sich ewig drehendes Hamsterrad! Die Frage einer guten Ausstattung mit WLAN, Hard- und Software ist wichtig, aber entscheidend ist das Personal, das sich all diesen Aspekten widmet. Ressourcen für Administration und professionelles Know How sind also ein dringendes Investment. Die Hoffnung, dass es analog zum Digitalpakt Schule auch zu einem DigitalPakt Kinder- und Jugendhilfe kommt, der dieses in den Blick nimmt, geben wir mal nicht auf. Aber im Moment ist es mehr ein Wunsch als eine heraufziehende Realität. Wie also umgehen mit den Herausforderungen der Digitalen Jugend(sozial)arbeit?
Soziale Frage
Digitale Medien sind gut in diesem Arbeitsfeld integrierbar. Wir sprechen hier nicht nur über Stories bei Instagram oder Videoberatung per Chat. Auch direkte Interaktionsangebote wie Spiele oder kreative DIY-Angebote sind gute Möglichkeiten, an und mit den Kids dranzubleiben und sie auch für diese Medieninhalte und -zugänge zu gewinnen. In unserem Gespräch war öfter davon die Rede, dass viele Kinder ihre mobilen Endgeräte – wenn sie denn eigene besitzen – eher dazu nutzen, zu „zocken“. Beobachtbar sei, dass bei den 12- bis 13-Jährigen die Social-Media-Angebote schon wahrgenommen werden, aber das Bedürfnis nach Social- Media-Interaktion mit den JC-Angeboten eher geringer ist. Das mag verwundern, aber es ist auch eine soziale Frage. Egal ob Technikausstattung der Kids oder Interessenlagen – die Erfahrungen in der Jugendarbeit zeigen, dass die Zugänge zu medialen Angeboten ein starker Faktor für den Erfolg digitaler Jugendarbeit darstellen. Das Klientel der meisten Jugendclubs sind eben nicht die „rich white middleclass kids“ mit neuestem Smartphone, PS4 und Klavierunterricht, sondern einkommensschwache Gruppen, deren Lebenslagen ganz andere Herausforderungen mit sich bringen. Die Corona-Pandemie hat diese Kluft noch verschärft, weswegen in den Clubs (und Schulen) mehr denn je Jugendsozialarbeit, die sich um “abgehängte” Kids kümmert, gefragt sein wird.
Beziehungsarbeit
Die Corona-Krise hat auch in der Jugendarbeit neue Prioritäten gesetzt. Schnell wird der Begriff Digitalisierung im Mund geführt. Für die Realität der Jugendarbeit können diese Tools effektvolle Arbeitsmittel und -strategien sein, ersetzen werden sie aber nicht die Beziehungsarbeit mit den Kids vor Ort, sozusagen von Mensch zu Mensch. Die Pandemie macht es allen Beteiligten nicht einfach. Regelungen, Eindämmungsverordnungen, skurrile Begrenzungen – ja, und vieles ist auch begründet – haben zu Erschöpfung geführt. Auf einen anderen Aspekt, der die „digitale Interaktionsmüdigkeit“ der Kids auch erklären könnte, wies Sebastian Müller hin. Die digitalen Angebote stehen bei den Kindern und Jugendlichen natürlich immer auch in Konkurrenz zu großen Formaten und Unterhaltungsangeboten wie Netflix, Spotify und Co. Die Jugendarbeit hat dem im digitalen Raum wenig entgegenzusetzen. Punkten kann sie aber mit Nähe, Beziehung und Authentizität. Das ist das Kapital der Jugendarbeit. Ein Grundkonflikt der Arbeit bleibt virulent: nämlich die Jugendlichen da zu erreichen, wo sie online unterwegs sind und andererseits DSGVO-konforme Tools zu nutzen. Juristisch gesehen ist dies teils schwankender Boden, hier wünschen sich alle rechtssichere Regeln, die für ihre Arbeit auch kompatibel und gut einsetzbar sind.
Postcorona – Ausblick
Uns interessierte auch, wie die Runde die Situation nach Corona einschätzt. Julia Schultheiss prognostiziert eine neue Kosten-Nutzen-Rechnung in der Arbeit. Weil viele digitale Treffen mittlerweile auch in den Alltag der Jugendarbeit integriert sind, werde man in Zukunft im Flächenland Brandenburg sicher weiter darauf zurückgreifen und könne so beispielsweise in der Vernetzungsarbeit Zeit einsparen. Andererseits werden viele nach Corona erst einmal die fehlende persönliche Nähe kompensieren wollen. Vor allem Menschen, die eher in der Meta- Ebene arbeiten – also nicht tagtäglich in der direkten Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen tätig sind – können von den digitalen Arbeitstools profitieren. Die Arbeit in den Jugendfreizeiteinrichtungen bleibt jedoch auf den persönlichen Kontakt mit den Dialoggruppen vor Ort angewiesen. Das ist ihre Stärke: Für die Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit verlässlicher Ansprechpartner zu sein und hierüber zu stärken, zu fördern, zu beraten, zu unterstützen. Dabei können auch digitale Elemente unterstützen, aber das direkte Miteinander ersetzen sie nicht. Mehr Vernetzungen sind also eher in der Meta-Ebene zu erwarten, der Digitalisierungs-Drive könnte auch abflachen, wenn die wichtigen Sozialkontakte wieder einigermaßen funktionieren. Elena Riese sieht Potentiale in der Öffentlichkeitsarbeit und Sebastian Müller wies darauf hin, dass Jugendarbeit nicht als „One Way“ funktioniert, sondern immer auf Interaktionen basiert. Die psychosozialen Folgen der Pandemie werden in der Jugendsozialarbeit ein Schwerpunkt sein. Das betrifft insbesondere das Themenfeld “Kooperation mit Schule”.
Augenhöhe
Die Schulsozialarbeit ist ebenfalls ein Megathema. Schon jetzt sind die Kinder- und Jugendclubs auch Abklingbecken der Defizite und Effekte, die durch das Distanzlernen entstehen. Sozialarbeiter:innen kompensieren hier mit enormen Aufwand Lücken beim Abbau von psychosozialen Krisensymptomen bei den Kindern, aber sie sind keine Lehrer:innen. Es ist nicht ihre Expertise oder Teil ihres Studiums, Unterrichtsstoff zu vermitteln, auch wenn sie derzeit ihr bestes versuchen, den Distanzunterricht zu unterstützen und so Bildungsdefizite und mangelnde Zugänge zu digitalen Lernmöglichkeiten abzupuffern. So gehört natürlich in vielen Kinder- und Jugendklubs nach Bedarf auch Betreuung bei den Hausaufgaben dazu. Im Gesamtknäuel Schule, Jugend(sozial)arbeit, Bildungsauftrag, soziales Lernen sind die Dinge verworren: gemeinsame Dialoggruppen, sich überschneidende, aber auch abgegrenzte Arbeitsaufträge und große Herausforderungen. Die Schulsozialarbeit kann durch die Clubs gut unterstützt werden. Hier gibt es seitens der Clubs den Wunsch, auch die Kommunikation mit den Schulen zu verbessern. Die Jugendclubs müssen die Möglichkeit haben, dort auf ihre Angebote aufmerksam machen, Distanz in Gesprächen mit Lehrer:innen und Eltern abbauen zu können und Kinder zu ermutigen, in die Einrichtungen zu kommen. Und Medienbildung muss an den Schulen einen größeren Stellenwert bekommen. Die Teilnehmer:innen unseres Gespräches wiesen darauf hin, dass es vielen Kids an einem breitgefächerten, grundsätzlichem Medienwissen fehle. So mag der Umgang mit Spielkonsolen gut klappen, aber beim Verständnis von Browserfunktionen, Suchmaschinen und anderem Basiswissen kann es schon hapern. Festzuhalten bleibt, die Kommunikation mit dem System Schule auf Augenhöhe ist weiterhin eine Herausforderung. Der Wandel des Selbstverständnisses von Schule weg von einer reinen Bildungsvermittlungseinrichtung hin zu einem offenen, multiprofessionellen System wird wohl noch Zeit und vielfältige Diskussionsprozesse brauchen.
Neben einer besseren Kommunikation und einem dementsprechend angepassten Regelwerk, der auch eine Durchmischung der Systeme zulässt, besteht ein großer Wunsch nach gesicherten gesetzlichen Regelungen, die eine DSGVO-konforme Arbeit ermöglichen. Ob die Lösung eine kommunale Plattform, technischer Support oder einfach nur Regelungen sind, die es ermöglichen mit den digitalen Wegen zu operieren, mit denen die Zielgruppen unterwegs sind ließ sich am Ende nicht klar sagen. Im Prinzip geht es um Augenhöhe und neue Partnerschaften. Multiprofessionalität ist nötig, um größere Gruppen anzusprechen.
Uwe Breitenborn für die Medienwerkstatt Potsdam
Foto: MWP | Breitenborn
Foto: Online-Konferenz | Screenshot MWP