Barrierefreies Gaming – Spielen mit einer Behinderung

14. Dezember 2020

In Deutschland gibt es jede Menge Richtlinien, die Barrierefreiheit in den verschiedensten Bereichen des Lebens regeln. So wird unter anderem vorgeschrieben, wie neu gebaute Gebäude gestaltet werden müssen, wie hoch ein Bordstein sein darf oder wie barrierefrei ein Film sein muss, bevor er veröffentlicht wird. Schaut man sich in diesem Zusammenhang den Videospielbereich in Deutschland an, muss man feststellen, dass es so gut wie keine gesetzlichen Regelungen gibt, wie barrierefrei ein Videospiel sein muss. Wieso eigentlich?
Im Jahr 1999 führten die Psychologen Daniel Simons und Christopher Chabris ein Experiment durch, bei dem Versuchspersonen ein Basketballspiel verfolgen und hinterher angeben sollten, wie viele Ballwechsel es insgesamt gab. Das Besondere daran war, dass mitten im Spiel eine Frau mit einem riesigen Regenschirm ins Bild spazierte. Sie spannte den Regenschirm auf, schloss ihn wieder und verschwand. In einem zweiten Experiment trug die Frau ein Gorilla-Kostüm, mit dem sie über das Feld lief. Sie blieb stehen, um sich auf die Brust zu trommeln und verschwand wieder. Über die Hälfte der Probanden bemerkte weder die Frau mit dem Regenschirm noch den Gorilla. Dieses Phänomen wird als Unaufmerksamkeitsblindheit bezeichnet. Unser Gehirn hat viel zu tun und bringt Geschehnissen erst dann Aufmerksamkeit entgegen, wenn es uns persönlich wichtig wird. Ähnliches gilt für das Spielen mit einer Behinderung. Wenn ein neues Spiel erscheint, geht es den meisten Kritikern wie Fans um Fragen der Auflösung, Bildrate oder um den Preis – die offensichtlichen Dinge eben. Nur die wenigsten interessiert es, ob das Spiel korrekt und gut lesbar untertitelt ist, oder ob man die Tastatur- und Controller-Belegung ändern kann. Das mag irgendwie verständlich sein, denn für einen Großteil der Videospieler ist das irrelevant. Wer zum Beispiel beschwerdefrei sehen kann, macht sich keine Gedanken darüber, ob eine halb transparente Minimap am Bildschirmrand gut erkennbar ist oder nicht. Wir achten nicht auf den Gorilla, sondern auf den Basketball.

Schauen wir der Wahrheit ins Auge

Barrierefreiheit im Videospielbereich ist offensichtlich nicht rentabel und damit nicht im Fokus. Vom rein ökonomischen Standpunkt aus sind Anpassungen, die zu einem barrierefreien Spiel führen, zusätzliche Kosten für die Entwickler, die aufgrund der verhältnismäßig kleinen Zielgruppe letztlich keinen Gewinn bringt. Es ist wie mit den Hilfsmitteln, die ein Mensch mit Behinderung benötigt, um seinen Alltag zu gestalten. Sie sind teuer, weil sie individuell sind und nicht für die Masse hergestellt werden können. So ist es auch im Gaming Bereich. Die meisten können nicht vorstellen, dass ein Controller für Menschen mit Behinderung oft sehr individuell sein muss, denn die Behinderung ist es auch.

Udo Sist (Normalo TV)

Fotohinweis: Fotoskizze Brockenbach