Fotohinweis: Foto von Tatiana Syrikova von Pexels
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Niedliche Fotos aus der Badewanne für die Großeltern, Rat gebende Elternblogs zu Erziehungsfragen, unterhaltsame YouTube-Kanäle oder schöne Instagram-Accounts mit Reisetipps und Rezepten für Kinder: Auf vielfältige Weise dokumentieren unzählige Familien ihren Alltag online und teilen vielfältige Informationen von Kindern und Jugendlichen. Zum Teil sogar so erfolgreich, dass die gesamte Familie davon leben kann.
Sharenting nennt sich diese verbreitete Praxis. Der Begriff Sharenting ist ein Neologismus aus den englischen Wörtern share (teilen) und parenting (Kindererziehung) und beschreibt das Preisgeben von Details über das Leben von Kindern durch ihre Eltern oder Erziehungsberechtigen im Internet.
So nachvollziehbar und unbedenklich es auf den ersten Blick scheint, das eigene Leben und das Aufwachsen der Kinder mit anderen Menschen insbesondere mit Freund*innen und Verwandten online zu teilen, so problematisch ist es bei genauerer Betrachtung. Und vor allem Erziehungsberechtigte verhalten sich hier oft widersprüchlich: Einerseits regulieren sie das Internetverhalten ihrer Kinder durch Zeitsperren oder Kindersicherungen stark und versuchen sie durch offene Gespräche für Themen wie Online-Mobbing zu sensibilisieren; andererseits verbreiten sie selbst online zahlreiche Informationen über ihr Kind.
Viel diskutiert ist das Thema des Schutzes von Kindern vor nicht altersgerechten Inhalten bzw. Dritten. In Bezug auf den teilweise bestehenden Interessenskonflikt zwischen Eltern- und Kinderrechten besteht jedoch noch großer Diskussionsbedarf.
Durch Sharenting hinterlassen Eltern digitale Spuren über das Leben ihrer Kinder und greifen in deren Privatsphäre ein. Während Erwachsene ihre eigenen Parameter zum virtuellen Teilen persönlicher Informationen festlegen können, haben gerade jüngere Kinder keine Kontrolle über ihren digitalen Fußabdruck. Und so verfügen viele Kinder durch das elterliche Hochladen von Ultraschallaufnahmen bereits vor ihrer eigentlichen Geburt unfreiwillig über eine digitale Identität. Doch genau diese digitale Identität bleibt im Internet erhalten, kann immer wieder gesucht und gefunden und so zu einer langfristigen Bedrohung der kindlichen Privatsphäre werden.
Gerade weil Eltern mit nahezu uneingeschränkter Kontrolle Informationen, Bilder oder Videos ihrer Kinder teilen dürfen, beinhaltet Sharenting die moralische Verpflichtung, als Elternteil stets mit angemessener Diskretion und unter Berücksichtigung der Sicherheit und des Wohlergehens des Kindes zu handeln. Dieser Newsletter ist daher ein kleiner Appell an alle Erziehungsberechtigten, die Interessen und Rechte der Kinder auch online stärker zu berücksichtigen und ihnen so Schutzräume zu ermöglichen, die nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Dieser Newsletter möchte Erziehungsberechtigte und Fachkräfte für das Thema sensibilisieren und anregen, die Interessen und Rechte der Kinder auch online zu schützen.
Fotohinweis: Foto von Ksenia Chernaya von Pexels
Aufstehen, frühstücken, Zähne putzen, anziehen, Schultasche packen und losgehen – auf diese oder ähnliche Weise startet (inzwischen wieder) ein gewöhnlicher Wochentag bei vielen Kindern in Deutschland. So auch bei Miley und Johann – wäre da nicht ein kleiner Unterschied: Hundertausende können ihnen auf ihren YouTube-Kanälen Mileys Welt und Johann Loop dabei zusehen. Beide Kinder wachsen, bedingt durch ihr Elternhaus, seit Jahren in einem für die Öffentlichkeit inszenierten Alltag auf und lassen online ein breites Publikum an ihrem Privatleben teilhaben. Miley und Johann sind Kinder-Influencer*innen. Doch sie sind nicht allein: Über 30.000 soll es auf YouTube, Instagram und Facebook allein in Deutschland laut eines Online-Beitrags der Süddeutschen Zeitung geben. Und auch international sorgen die Namen erfolgreicher YouTube-Kanäle, wie Ilias Welt oder Ryan’s World, in denen Kinder die Hauptrolle übernehmen, für Aufsehen. Ein offensichtlich brandaktuelles und stark umstrittenes Thema mit weitreichenden Konsequenzen. Doch was passiert, wenn Kinder nicht mehr „nur“ Konsument*innen medialer Inhalte auf Social Media Plattformen wie YouTube sind, sondern dort selbst, vermarktet von ihren Eltern, zu Internet-Celebrities werden?
Mitmachen: Dieses Wort trifft das Herzstück der Plattform YouTube. Hier können User*innen selbst aktiv werden und maßgeblich Einfluss auf Inhalte nehmen bzw. diese selbst erzeugen. Dies bedeutet Partizipation und demokratische Mitbestimmung für alle – auch für die Jüngsten der Gesellschaft, welche hier zu kreativen Medienproduzent*innen werden können und lernen, ihrer Meinung und ihren Themen selbstwirksam Ausdruck zu verleihen. Und so nehmen uns Miley, Johann und Co in ihren Videoblogs mit auf eine Reise durch ihre Kinderzimmer, bewerben ihre Lieblingsspielsachen, zeigen ihre täglichen “Routinen” und “influencen” (Englisch: beeinflussen) unzählige Fans.
Natürlich haben Kinder Rechte auf Zugang und Teilhabe in der digitalen Welt. Und klar, die Digitalisierung setzt sie nicht nur Risiken aus, sondern eröffnet ihnen auch vielfältige Potenziale. Auf den ersten Blick scheinen die unterhaltsamen und fröhlich anmutenden Kinderkanäle auf YouTube also gar nicht so bedenklich. Doch so einfach ist es nicht: Die Grenze zwischen kindlicher Partizipation und einer Selbstinszenierung, die für die kindliche Entwicklung schädlich sein kann, ist unscharf. Im Moment des Aufbauens von Kindern zu Influencer*innen werden Kinder zu Arbeiter*innen in den Medien und ihre Rechte auf Privatsphäre, altersgerechten Medienzugang und Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung wird stark beeinträchtigt. Besonders kritisch ist dabei die Tatsache, dass die persönliche Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern für ein unbekanntes Publikum geöffnet und vor allem monetarisiert wird.Hinzu kommt eine hohe zeitliche Belastung der Kinder neben den schulischen und außerschulischen Verpflichtungen sowie ihrer privaten Freizeit. Denn das erfolgreiche Betreiben eines YouTube-Kanals bringt einen enormen Aufwand mit sich. Meist mehrfach pro Woche gilt es neue Videos zu drehen, im engen Austausch mit der Fan-Gemeinschaft zu stehen sowie andere Social Media Plattformen zu bespielen. Auch wenn die Eltern den Großteil des Managements der Kanäle sowie das Schneiden des Videomaterials übernehmen, gilt es für die Kinder permanent, Aufmerksamkeit generierenden Input zu produzieren. Das bringt Erwartungs- und Leistungsdruck mit sich – insbesondere, wenn das finanzielle Einkommen der Familie mit dem Erfolg der Kanäle verknüpft ist.
Neben dem hohen Leistungsdruck und der Verletzung der kindlichen Privatsphäre ist auch die durch Kinder-Influencer*innen auf YouTube ausgestellte Konsumkultur äußerst bedenklich: Hier werden Kindergeburtstage zu Marketingveranstaltungen, familiäre Spieleabende zu Produktplatzierungen oder Einkaufstouren zum regelrechten Konsumrausch. Da der Plattform YouTube schon in der kindlichen Lebenswelt ein hoher Stellenwert zukommt und prominente YouTuber*innen für junge Menschen eine ausgeprägte Orientierungsfunktion bzw. einen Vorbildcharakter haben, ist es umso wichtiger Kinder und Jugendliche für die verschiedenen Erscheinungsformen der Kommerzialisierung zu sensibilisieren. Denn gerade jüngere Kinder sind kaum in der Lage, Werbung auf YouTube zu erkennen.
Obwohl die Kanäle von Kinder-Influencer*innen hoch professionalisiert sind und enorme Umsätze erwirtschaften, wirken die jungen Stars durch die scheinbare Nähe der sozialen Netzwerke wie vertraute Freund*innen von nebenan, die “einfach nur sie selbst” sind. Umso wichtiger also für Fachkräfte und Erziehungsberechtigte die Netzaktivitäten von Kindern aktiv zu begleiten und die für sie so faszinierenden YouTube-Formate gemeinsam zu entdecken.
Zudem gilt es, Kinder zukünftig durch einen verstärkten Jugendschutz sowie über erweiterte Community Guidelines der einzelnen Plattformen vor dem durchaus kritischen Dasein als Influencer*in zu schützen. Anders als Erwachsene können Kinder die Folgen ihres Handelns in einem digitalisierten Umfeld erst noch nicht umfassend reflektieren und daher die Reichweite und Bedeutung eines geteilten Videos auf YouTube nicht in vollem Umfang absehen. Daher brauchen sie trotz aktiver digitaler Teilhabe einen notwendigen Schutzraum in welchem sie lernen, wachsen und begreifen können.
Das Thema Kinder in sozialen Plattformen bildet nach wie vor einen komplexen Hochseilakt zwischen Autonomieermöglichung und Schutz, in dessen Kontext Fragen zu Privatsphäre, Persönlichkeitsrechten und elterlicher Verantwortung neu zu diskutieren sind. Denn wie sich gezeigt hat, besteht diesbezüglich großer Nachholbedarf und besonders kindliche YouTube-Celebrities sind mindestens so sehr influenced wie sie auch selbst (freiwillig oder nicht) Influencer*innen sind.