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Digitale Jugendarbeit in Potsdam – Quo vadis?

11. Mai 2021

Die Medienwerkstatt lud am 23. April 2021 zu einem Online-Meinungsaustausch ein, in dem über den Status Quo und die Bedarfe der (digitalen) Jugendarbeit in Potsdam gesprochen wurde. Mit dabei waren für den Arbeitskreis Potsdamer Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen (AKKJ) Elena Riese vom Mädchentreff “Zimtzicken” und Benjamin Riese vom Jugendclub “Alpha”. Außerdem ergänzten Julia Schultheiss vom Stadtjugendring Potsdam und Sebastian Müller vom Fachverband Jugendarbeit / Jugendsozialarbeit Brandenburg die Sicht auf die Dinge durch ihre städtische bzw. landesweite Perspektive. Von der Medienwerkstatt waren die Bildungsreferent:innen Ute Parthum, Katja Altenburg und Uwe Breitenborn dabei. Wir wollten genauer erfahren, wie Corona die Jugendarbeit verändert hat. Ist sie digitaler geworden? Was läuft gut in Potsdam, was nicht? Wo geht es in Zukunft mit der Jugendarbeit hin?
Ja, Corona nervt mittlerweile gewaltig! Allen ist klar, dass die Krise mit ihren Einschränkungen die Jugendsozialarbeit verschärft und vor große Probleme gestellt hat. “2020 war es so, als würde man gegen eine Wand rennen”, so Julia Schultheiss. Bekanntermaßen scheint in der Krise immer auch das Rettende auf.
Und so wurden im ersten Lockdown digitale Tools durchaus als geeignete Mittel begrüßt, die einsetzenden Kontaktbeschränkungen zu überwinden, den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufrecht zu erhalten. Instagram und Co, Videochats, Messengerdienste, online zusammen spielen, vielleicht auch mal ein Podcast? Dieser anfängliche digitale Entdeckergeist ist mittlerweile einer „digitalen Müdigkeit“ gewichen. Oder nennen wir es ganz einfach Erschöpfung. Aber trifft diese Diagnose den Kern des Problems?

Digitale Müdigkeit?

Benjamin Riese berichtet beispielsweise, dass beim Jugendclub “Alpha” viel ausprobiert und experimentiert wurde, die Social-Media-Arbeit wurde aufgepeppt, Beratungsangebote liefen teils über digitale Tools, die Sichtbarkeit des JC wurde auch im eigenen Interesse besser. Aber die digitale Interaktivität der Kids hinsichtlich ihrer Jugendeinrichtungen lässt teilweise auch wieder nach. Auch beim Mädchentreff “Zimtzicken” waren ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Woran liegt’s? An Engagement und gutem Willen mangelt es in den Einrichtungen nicht – im Gegenteil. Chancen werden gesehen. Digitale Jugendarbeit bedeutet einen partiellen Transfer bisheriger Arbeitsweisen in den digitalen Raum. Das kann gute Effekte bringen – Zeitersparnis, Distanzschmelze, bessere Verfügbarkeit. Das größte Kapital der Jugendarbeit ist aber, so Sebastian Müller, der Aufbau von (engen) Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen, was mit den digitalen Tools nur bedingt umsetzbar, aber auch nicht ausgeschlossen ist. Nähe und Zugewandtheit sind das A und O. Es ist aber nicht nur eine Frage, ob Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendeinrichtungen netzaffin und persönlich interessiert an solchen digitalen Arbeitsfeldern sind, sondern ob sie dafür auch die Ressourcen haben. Zwei Stellen in einer Einrichtung sind eben zu wenig, um den hohen Anforderungen einer beziehungsintensiven Jugendarbeit nachzukommen. Wird dann noch jemand krank – Gute Nacht! Auch die Forderungen seitens Politik und Verwaltung nach mehr Digitalisierung sind ernst zu nehmen. Unserer Auffassung nach müsste es idealerweise in jeder Einrichtung oder bei dem Träger zumindest einen Mitarbeitenden geben, der sich professionell um technische Fragen, DSGVO- Aspekte, um Digitalformate und Web- und Social-Media-Hostings kümmern kann. Derzeit tun dies die Fachkräfte quasi „nebenbei“ oder „zusätzlich“. Ein sich ewig drehendes Hamsterrad! Die Frage einer guten Ausstattung mit WLAN, Hard- und Software ist wichtig, aber entscheidend ist das Personal, das sich all diesen Aspekten widmet. Ressourcen für Administration und professionelles Know How sind also ein dringendes Investment. Die Hoffnung, dass es analog zum Digitalpakt Schule auch zu einem DigitalPakt Kinder- und Jugendhilfe kommt, der dieses in den Blick nimmt, geben wir mal nicht auf. Aber im Moment ist es mehr ein Wunsch als eine heraufziehende Realität. Wie also umgehen mit den Herausforderungen der Digitalen Jugend(sozial)arbeit?

Soziale Frage

Digitale Medien sind gut in diesem Arbeitsfeld integrierbar. Wir sprechen hier nicht nur über Stories bei Instagram oder Videoberatung per Chat. Auch direkte Interaktionsangebote wie Spiele oder kreative DIY-Angebote sind gute Möglichkeiten, an und mit den Kids dranzubleiben und sie auch für diese Medieninhalte und -zugänge zu gewinnen. In unserem Gespräch war öfter davon die Rede, dass viele Kinder ihre mobilen Endgeräte – wenn sie denn eigene besitzen – eher dazu nutzen, zu „zocken“. Beobachtbar sei, dass bei den 12- bis 13-Jährigen die Social-Media-Angebote schon wahrgenommen werden, aber das Bedürfnis nach Social- Media-Interaktion mit den JC-Angeboten eher geringer ist. Das mag verwundern, aber es ist auch eine soziale Frage. Egal ob Technikausstattung der Kids oder Interessenlagen – die Erfahrungen in der Jugendarbeit zeigen, dass die Zugänge zu medialen Angeboten ein starker Faktor für den Erfolg digitaler Jugendarbeit darstellen. Das Klientel der meisten Jugendclubs sind eben nicht die „rich white middleclass kids“ mit neuestem Smartphone, PS4 und Klavierunterricht, sondern einkommensschwache Gruppen, deren Lebenslagen ganz andere Herausforderungen mit sich bringen. Die Corona-Pandemie hat diese Kluft noch verschärft, weswegen in den Clubs (und Schulen) mehr denn je Jugendsozialarbeit, die sich um “abgehängte” Kids kümmert, gefragt sein wird.

V.l.n.r. Uwe Breitenborn, Benjamin Riese, Julia Schultheiss, Katja Altenburg, Sebastian Müller, Ute Parthum (Quelle: Screenshot MWP)

Beziehungsarbeit

Die Corona-Krise hat auch in der Jugendarbeit neue Prioritäten gesetzt. Schnell wird der Begriff Digitalisierung im Mund geführt. Für die Realität der Jugendarbeit können diese Tools effektvolle Arbeitsmittel und -strategien sein, ersetzen werden sie aber nicht die Beziehungsarbeit mit den Kids vor Ort, sozusagen von Mensch zu Mensch. Die Pandemie macht es allen Beteiligten nicht einfach. Regelungen, Eindämmungsverordnungen, skurrile Begrenzungen – ja, und vieles ist auch begründet – haben zu Erschöpfung geführt. Auf einen anderen Aspekt, der die „digitale Interaktionsmüdigkeit“ der Kids auch erklären könnte, wies Sebastian Müller hin. Die digitalen Angebote stehen bei den Kindern und Jugendlichen natürlich immer auch in Konkurrenz zu großen Formaten und Unterhaltungsangeboten wie Netflix, Spotify und Co. Die Jugendarbeit hat dem im digitalen Raum wenig entgegenzusetzen. Punkten kann sie aber mit Nähe, Beziehung und Authentizität. Das ist das Kapital der Jugendarbeit. Ein Grundkonflikt der Arbeit bleibt virulent: nämlich die Jugendlichen da zu erreichen, wo sie online unterwegs sind und andererseits DSGVO-konforme Tools zu nutzen. Juristisch gesehen ist dies teils schwankender Boden, hier wünschen sich alle rechtssichere Regeln, die für ihre Arbeit auch kompatibel und gut einsetzbar sind.

Postcorona – Ausblick

Uns interessierte auch, wie die Runde die Situation nach Corona einschätzt. Julia Schultheiss prognostiziert eine neue Kosten-Nutzen-Rechnung in der Arbeit. Weil viele digitale Treffen mittlerweile auch in den Alltag der Jugendarbeit integriert sind, werde man in Zukunft im Flächenland Brandenburg sicher weiter darauf zurückgreifen und könne so beispielsweise in der Vernetzungsarbeit Zeit einsparen. Andererseits werden viele nach Corona erst einmal die fehlende persönliche Nähe kompensieren wollen. Vor allem Menschen, die eher in der Meta- Ebene arbeiten – also nicht tagtäglich in der direkten Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen tätig sind – können von den digitalen Arbeitstools profitieren. Die Arbeit in den Jugendfreizeiteinrichtungen bleibt jedoch auf den persönlichen Kontakt mit den Dialoggruppen vor Ort angewiesen. Das ist ihre Stärke: Für die Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit verlässlicher Ansprechpartner zu sein und hierüber zu stärken, zu fördern, zu beraten, zu unterstützen. Dabei können auch digitale Elemente unterstützen, aber das direkte Miteinander ersetzen sie nicht. Mehr Vernetzungen sind also eher in der Meta-Ebene zu erwarten, der Digitalisierungs-Drive könnte auch abflachen, wenn die wichtigen Sozialkontakte wieder einigermaßen funktionieren. Elena Riese sieht Potentiale in der Öffentlichkeitsarbeit und Sebastian Müller wies darauf hin, dass Jugendarbeit nicht als „One Way“ funktioniert, sondern immer auf Interaktionen basiert. Die psychosozialen Folgen der Pandemie werden in der Jugendsozialarbeit ein Schwerpunkt sein. Das betrifft insbesondere das Themenfeld “Kooperation mit Schule”.

Augenhöhe

Die Schulsozialarbeit ist ebenfalls ein Megathema. Schon jetzt sind die Kinder- und Jugendclubs auch Abklingbecken der Defizite und Effekte, die durch das Distanzlernen entstehen. Sozialarbeiter:innen kompensieren hier mit enormen Aufwand Lücken beim Abbau von psychosozialen Krisensymptomen bei den Kindern, aber sie sind keine Lehrer:innen. Es ist nicht ihre Expertise oder Teil ihres Studiums, Unterrichtsstoff zu vermitteln, auch wenn sie derzeit ihr bestes versuchen, den Distanzunterricht zu unterstützen und so Bildungsdefizite und mangelnde Zugänge zu digitalen Lernmöglichkeiten abzupuffern. So gehört natürlich in vielen Kinder- und Jugendklubs nach Bedarf auch Betreuung bei den Hausaufgaben dazu. Im Gesamtknäuel Schule, Jugend(sozial)arbeit, Bildungsauftrag, soziales Lernen sind die Dinge verworren: gemeinsame Dialoggruppen, sich überschneidende, aber auch abgegrenzte Arbeitsaufträge und große Herausforderungen. Die Schulsozialarbeit kann durch die Clubs gut unterstützt werden. Hier gibt es seitens der Clubs den Wunsch, auch die Kommunikation mit den Schulen zu verbessern. Die Jugendclubs müssen die Möglichkeit haben, dort auf ihre Angebote aufmerksam machen, Distanz in Gesprächen mit Lehrer:innen und Eltern abbauen zu können und Kinder zu ermutigen, in die Einrichtungen zu kommen. Und Medienbildung muss an den Schulen einen größeren Stellenwert bekommen. Die Teilnehmer:innen unseres Gespräches wiesen darauf hin, dass es vielen Kids an einem breitgefächerten, grundsätzlichem Medienwissen fehle. So mag der Umgang mit Spielkonsolen gut klappen, aber beim Verständnis von Browserfunktionen, Suchmaschinen und anderem Basiswissen kann es schon hapern. Festzuhalten bleibt, die Kommunikation mit dem System Schule auf Augenhöhe ist weiterhin eine Herausforderung. Der Wandel des Selbstverständnisses von Schule weg von einer reinen Bildungsvermittlungseinrichtung hin zu einem offenen, multiprofessionellen System wird wohl noch Zeit und vielfältige Diskussionsprozesse brauchen.

Neben einer besseren Kommunikation und einem dementsprechend angepassten Regelwerk, der auch eine Durchmischung der Systeme zulässt, besteht ein großer Wunsch nach gesicherten gesetzlichen Regelungen, die eine DSGVO-konforme Arbeit ermöglichen. Ob die Lösung eine kommunale Plattform, technischer Support oder einfach nur Regelungen sind, die es ermöglichen mit den digitalen Wegen zu operieren, mit denen die Zielgruppen unterwegs sind ließ sich am Ende nicht klar sagen. Im Prinzip geht es um Augenhöhe und neue Partnerschaften. Multiprofessionalität ist nötig, um größere Gruppen anzusprechen.

Uwe Breitenborn für die Medienwerkstatt Potsdam

Foto: MWP | Breitenborn
Foto: Online-Konferenz | Screenshot MWP

„Viele haben keine Medienkompetenz, sondern Wischkompetenz“

11. Mai 2021

Ein Interview mit dem Cyberkriminologen Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger.

Eine virtuelle Polizeiwache extra für Kinder und Jugendliche, Medienkompetenz als Unterrichtsfach ab der 1. Klasse und bedeutend stärker in der Lehrerausbildung verankert sowie Eltern, die sich mit angesagten Onlinespielen besser auskennen als ihre Kinder – das fordert der Cyberkriminologe Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger. Als Kriminologe setzt er sich wissenschaftlich mit digitalen Straftaten und Interaktionsrisiken in Sozialen Medien auseinander. Ihm geht es um Prävention im Netz – insbesondere von Kindern. Seine Dissertation schrieb er über Cybergrooming. Heute unterrichtet er angehende Polizist:innen und forscht an der Polizeihochschule des Landes Brandenburg. Unsere Mitarbeiterin Annette Weiß sprach mit ihm über seine Arbeit. Natürlich online.

Einen Cybercop stelle ich mir wie einen Detektiv vor, mit Schiebermütze und Lupe. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag wirklich aus?

Sherlock Holmes oder Miss Marple, das höre ich oft. Das entspricht eher der Vorstellung von einem Kriminalisten oder Polizisten, aber genau das ist ja der Kriminologe nicht. Er hinterfragt, wie Kriminalität überhaupt entsteht, was sind die Rahmenbedingungen dafür und wie kann man dagegen vorgehen? Ich bin zum Beispiel davon überzeugt, dass vermutlich jeder einmal in seinem Leben Normen – auch Strafnormen – überschreitet, gerade in der Jugend. Als Cyberkriminologe spiegele ich solche Gedankengänge auf das Netz und betrachte nicht ein Land, sondern einen globalen digitalen Raum, wo das Strafrecht aller Nationen aufeinandertrifft. Das ist aber nicht so spektakulär, wie man sich das vorstellt. Vieles mache ich mit dem Smartphone, auch wenn ich privat unterwegs bin. Ein gutes Beispiel dafür sind Onlinegames. Als Gamer stößt man automatisch auch auf Themen wie extremistische Nutzernamen und Gilden, Betrugshandlungen oder sexistische Kommentare und Cybermobbing in Spielen, die auch schon für Kinder freigegeben sind. Ich schaue mir das dann näher an und recherchiere. So richtig Feierabend gibt es nicht, weil wir alle ja faktisch stets „on“ sind und man damit auch immer auf so etwas treffen kann.

„Kinder steigen nicht mit Instagram in ihr digitales Dasein ein,
sondern mit Games.“

Die Kinder sind im Homeschooling. Viele Studien belegen, dass die Kinder in der Corona-Pandemie deutlich mehr Zeit am Handy, Computer und mit der Spielkonsole verbringen. Welche Auswirkung hat das auf Ihre Arbeit?

Aus meiner Sicht keine allzu große. Aber bitte nicht falsch verstehen, dies liegt eher daran, dass die Intensität der Normüberschreitungen im Netz und vor allem auch gegen Kinder schon vorher auf einem extrem hohen Niveau war. Vermutlich wird jedes Kind einmal mit einem Sexualdelikt im Netz konfrontiert. Wie soll das noch gesteigert werden? Allerdings sind tatsächlich die Fallzahlen im Hellfeld enorm gestiegen. 50 Prozent Zunahme bei Cybergrooming und 55 Prozent bei kinderpornografischem Material. Aber man muss ehrlich sagen: Die Anzeigewahrscheinlichkeit ist vermutlich gleichgeblieben, das Dunkelfeld jedoch schon seit Jahren so groß. Das wollte die Gesellschaft teilweise nur nicht wahrhaben.

Sie beziehen sich hier auf die aktuelle bundesweite polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die Mitte April erschienen ist. Aber die Strafdelikte im analogen realen Raum sind um 16 Prozent zurückgegangen. Was leiten Sie daraus ab?

Zunächst einmal, die PKS weist nur bei der Polizei angezeigte Delikte auf, das sogenannte Hellfeld. Die PKS wird in der Gesellschaft aber nicht selten als ein Spiegelbild der Kriminalität gesehen, das ist ein Irrglauben. Die PKS hat keinen ernsthaften Aussagewert über die Kriminalitätsentwicklung, sondern nur über deren Anzeigen und auch nur gegenüber der Polizei. Obwohl die Bevölkerungszahl um zwei bis drei Millionen Einwohner auf einen Höchststand angestiegen ist, sind die PKS-Fallzahlen um eine Million Delikte zurückgegangen. Das ist ein Rückgang um knapp 16 Prozent innerhalb der letzten vier Jahre. Heißt das, Kriminalität geht zurück? Nein, sie verlagert sich nur ins Internet. Und wer zeigt die schon an? Im Netz ist Kriminalität für alle transparent und massenhaft vorhanden, was man aus dem physischen Raum so nicht kennt. Also Phishing-Emails, Smishings (Kombination aus SMS und Phishing), Beleidigungen, gefakte Identitätsaccounts, das Zusenden von Dick Pics oder digitale Hasskriminalität. Das scheint so normal und zeigt, dass die Täter offensichtlich keine Angst haben, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie verfolgt und strafrechtlich belangt werden, eher gering ist. Eine Ableitung daraus könnte sein, dass wir in ähnlicher Höhe die Personalressourcen der Sicherheitsbehörden ins Netz verlagern und dafür die Beamten mit einer Art polizeilichen Medienkompetenz fit machen. Ein Gedanke wäre, dass Polizisten auch im öffentlichen Bereich des Netzes aktiv Streife surfen und selbständig nach Straftaten suchen, so wie sie es jeden Tag im Straßenverkehr machen. Nach der einzigen mir bekannten Erhebung aus dem Jahr 2017 waren zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal ein Prozent für digitale Themen zuständig. Man muss auch bedenken, dass gerade jetzt die Menschen vermutlich mehr Zeit im Netz verbringen als im physischen Raum. Auch hier muss es Aufgabe der Sicherheitsbehörden sein, diese Menschen, vor allem Kinder, im Netz aktiv zu schützen. Dazu müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Eine spürbare Ressourcenverlagerung würde zudem dazu führen, dass die Anzeigewahrscheinlichkeit bei digitalen Delikten steigt, weil die Menschen sehen: Es bringt etwas, wir sehen auch die Polizei rund um die Uhr im Netz.

Wie sähen denn virtuelle Polizist:innen aus? Undercover ermitteln und hacken oder ganz offen sein, wie der oder die nette Beamte, der einen ermahnt, wenn man auf dem Bürgersteig radfährt?

In diese Richtung geht es. Ich habe kein ausgearbeitetes Konzept, das man mit einem Knopfdruck umsetzen könnte. Aber, warum muss ein Polizist auf der Straße Uniform tragen, warum haben wir einen Streifenwagen? Es symbolisiert das Gewaltmonopol des Staates. Im Netz agieren die Sicherheitsbehörden ganz überwiegend verdeckt. Nach einer Erhebung aus dem letzten Jahr stellen die 366 Accounts von Polizei-Institutionen und im Kern auch noch die Internetwachen die einzige Präsenz im Netz dar, bei knapp 320.000 Angehörigen der Sicherheitsbehörden. Zum Vergleich: Die Niederlande haben etwa 60.000 Polizisten und alleine auf Twitter knapp 2.000 Accounts – wenn wir dieselbe Quote wie die Niederländer erreichen wollten, hätten wir in Deutschland 10.000 Accounts. Aus meiner Sicht wäre es notwendig, dass es im öffentlichen Netz eine Zufälligkeit oder Wahrscheinlichkeit gibt, dass man auf die Sicherheitsbehörden trifft und diese sichtbar agieren. Auch aus dem Gedanken heraus, dass sichtbare Maßnahmen eher die Normalität darstellen sollten, da nur so eine Art gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen erfolgen kann.

Wie kann man das umsetzen?

Ich gebe mal ein Beispiel: Wird eine illegale Streamingplattformen – beispielsweise für Kinofilme – von der Polizei stillgelegt, wird mittlerweile eine Beschlagnahme-Seite platziert. Unter dem Motto: Das ist ein illegaler Inhalt, bitte denken Sie daran, auch die Polizei ist online aktiv. Das ist ein Beispiel, wie ich mir sichtbare Präsenz vorstellen kann. Nicht du als Bürger musst aktiv auf eine Internetwache oder einen Polizei-Account gehen, sondern diese Accounts reagieren zum Beispiel auf einen öffentlich geposteten strafbaren Inhalt. So nach dem Motto: Pass auf, das ist ein extremistischer strafbarer Inhalt, wir werden das jetzt prüfen. Vor allem auch mit Blick auf andere Nutzer, die dadurch sehen, der Rechtstaat ist hier aktiv.

Sie fordern auch Internetwachen extra für Kinder. Was genau meinen Sie damit?

Kinder habe gerade bei Sexualdelikten, ob analoge oder digitale, eine hohe Hemmschwelle, sich an Vertrauenspersonen und an die Polizei zu wenden. Bei Cybergrooming haben Kinder teilweise Angst, mit ihren Eltern darüber zu reden, weil sie befürchten, ihnen werde als Konsequenz das Smartphone weggenommen. Der Gedanke ist daher naheliegend, die Hemmschwelle, die Polizei ansprechen zu können, so niedrig wie möglich zu gestalten. Gerade jetzt, wo viele Kinder die Zeit im Fernunterricht zu Hause verbringen, erscheint es mir naheliegend, hier intensiv auf digitale Mechanismen zu setzen, so dass Kinder sich online rund um die Uhr möglichst einfach an die Polizei wenden können.
Das ist bei den gegenwärtigen Internetwachen aus meiner Sicht nicht möglich. Diese sind kompliziert aufgebaut, und auch in der Anwendung nicht sehr nutzerfreundlich. Zudem hat jedes Bundesland eine eigene Internetwache. Warum eigentlich in einem globalen digitalen Raum ohne jede physische Grenze? Ich würde vorschlagen, eine digitale Kinderwache einzurichten, die eine vertrauensvolle Online-Atmosphäre schafft, die sich explizit an Kinder richtet und deren Sprache beherrscht, mit Spezialisten wie Polizisten, Pädagogen, Psychologen, die rund um die Uhr online ansprechbar sind und den Kindern sofort zur Seite stehen. Analog zu den Childhoodhäusern, einem realen, sehr interessanten Konzept. Schauen wir wieder bei den Niederländern, die sind aus meiner Sicht Vorreiter für solche Projekte im europäischen Raum. Vor einigen Jahren habe ich mich intensiv mit einer virtuellen Welt auseinandergesetzt, weil es dort viele Sexualdelikte gegen Kinder gegeben hat. Die niederländische Polizei hat in dieser Spielwelt Präsenz gezeigt und bot eine Art digitale Spielesprechstunde mit eigenem virtuellen Polizeibus und Polizei-Avataren an. Das waren echte Polizisten, was für alle Nutzer auch transparent war. In dieser spielerischen Umgebung berichteten dann die Kinder den Polizisten auch von Übergriffen. Dieses Konzept fand ich zukunftsträchtig. Wo die Täter hingehen, um an die Kinder ranzukommen, da muss doch auch die Polizei hingehen, um zumindest als Ansprechpartner zu dienen!

"Als Gesellschaft haben wir Generationen in diesen digitalen Raum wie in ein offenes Messer hineinlaufen lassen."

Ebenso verlangen Sie auch virtuelle Streetworker:innen.

Wenn wir das Konzept auf der Straße haben, also die Streetworker gehen dahin, wo die Kinder sind, dann muss es doch im Netz auch so sein – zum Beispiel bei Instagram oder TikTok. Da muss es ebenso Personen geben, die das nicht nur privat und eigenständig machen, sondern vom Staat oder von Einrichtungen dafür bezahlt werden. Die Polizei ist oft erst der Ansprechpartner, wenn der Schaden bereits eingetreten ist.

Was benötigt moderne, digitale Jugendarbeit?

Ich bin kein Pädagoge, aber eine Tendenz bereitet mir Sorgen: Bei allen digitalen Delikten haben wir eine starke Zunahme minderjähriger Tatverdächtiger. Vor zwei Jahren lag der Anteil dieser Tatverdächtigen bei Kinderpornografie bei etwa 20 Prozent, im letzten Jahr schon bei 40 Prozent. Und bei Cybergrooming liegt er auch bei ungefähr 50 Prozent bei Kindern und Jugendlichen. Das ist eine dramatische Steigerung und die müssen wir auffangen. Vermutlich kursieren an vielen Schulen in irgendwelchen Chats von Schülern und Schülerinnen auch strafbare Inhalte wie Kinder- oder Jugendpornografie oder Medien mit extremistischen Inhalten. Bisher fokussierten sich alle Beteiligten vor allem darauf, zu verhindern, dass Kinder Opfer werden. Aber ein Schwerpunkt muss jetzt auch sein, dass Minderjährige wissen, wann sie sich strafbar machen können. Oft heißt es dann, aber Kinder seien nicht strafbar, das stimmt nur teilweise. Kinder können zwar nicht bestraft werden, aber Ermittlungsmaßnahmen können auch bei Delikten im Zusammenhang mit einem Zwölfjährigen eingeleitet werden und diese Maßnahmen sind natürlich auch belastend. Ein Beispiel: Ein Junge kommt auf den Gedanken, im Schulchat kinderpornografische Inhalte zu versenden oder beispielsweise ein Masturbationsvideo einer 13-Jährigen, mit der er zusammen ist. Dann besteht bei allen in diesem WhatsApp-Chat der Verdacht des Besitzes von Kinderpornografie! Die Polizei hat aufgrund des Legalitätsprinzips keinerlei Spielraum und wird Ermittlungsmaßnahmen einleiten müssen. Dazu kann dann auch gehören, alle Handys sicherzustellen oder zu beschlagnahmen.

"Alle Kinder haben das Recht, sicher aufzuwachsen, das gilt auch für den digitalen Raum. Sie haben aber auch das Recht zu erfahren, was im Netz verboten ist. Das sollte die Jugend- und Medienarbeit schon frühzeitig in den Blick nehmen."

Was ist dagegen zu tun?

Manchmal kriegen Kinder schon in der 1. Klasse ein Smartphone in die Hand, aber wir haben in Deutschland kein verpflichtendes Fach Medienkompetenz ab der 1. Klasse in jeder Schule. Wer setzt sich schon hin und redet mit einer Erstklässlerin darüber, dass sie keine Nacktbilder versenden soll. Dass es Leute gibt, die wollen, dass sie sich nackt zeigt oder selbst anfasst und das filmt. Oder dass sie kein Bild mit extremistischen Zeichen versenden darf. Woher soll ein Achtjähriger wissen, was das überhaupt ist und bedeutet? Man sagt immer, die Eltern sollen aufklären. Ja, richtig. Aber viele haben keine Medienkompetenz, sondern eine Art Wischkompetenz, können oder wollen es schlicht nicht. Das muss der Staat auffangen. Alle Kinder haben das Recht, sicher aufzuwachsen, das gilt auch für den digitalen Raum. Sie haben aber auch das Recht zu erfahren, was im Netz verboten ist. Das sollte die Jugend- und Medienarbeit schon frühzeitig in den Blick nehmen.

Medienkompetenz ab der 1. Klasse. Ist das nicht ein bisschen früh? Nicht wenige meinen, die ABC- Schützen sollten erst einmal Lesen und Schreiben lernen.

Es ist vermutlich viel zu spät. Ich kenne Diskussionen, ob es nicht schon ab dem Kindergarten sinnvoll wäre. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Durch das Homeschooling sind auch die Erst- und Zweitklässler mehr im Netz unterwegs, obwohl vermutlich viele Eltern das noch gar nicht wollen. Auf einmal heißt es, sie müssen eine Videokonferenz machen, die Kinder müssen Tablets haben. Ob man es will oder nicht, alle Kinder gehen jetzt ins Netz! Aber wir konnten ihnen zum Beispiel in der Schule noch gar nicht die notwendigen digitalen Kompetenzen dafür vermitteln! Das halte ich für ein echtes Problem. Als Gesellschaft haben wir Generationen in diesen digitalen Raum wie in ein offenes Messer hineinlaufen lassen. Sie wurden in diesem vor allem für Kinder weitestgehend ungesicherten Raum teilsozialisiert! Das sollten wir, wenn möglich, nicht wieder zulassen.

"Man muss nicht jedes Programm kennen, aber die Mechanismen verstehen."

Worauf müssen Erzieher:innen und Fachkräfte in den Kinder- und Jugendeinrichtungen achten, wo sollten die hellhörig werden? Haben Sie Tipps?

Ich gebe keine Tipps speziell für Jugendarbeiter, ich gebe Tipps für Erwachsene – die gelten für alle, auch für Polizisten oder Lehrer. Erstens: Interesse zeigen und in den offenen Dialog gehen. Die Erzieher oder Eltern müssen sich erkundigen, welche Computerspiele die Kinder spielen, in welchen Chats und Foren sie sich aufhalten, welche Apps sie nutzen und welche Videos sie sich ansehen. Zweitens: Experte werden. Wer noch nie ein Online-Spiel gespielt hat, der wird kein Ansprechpartner für sein Kind sein. Man muss nicht jedes Programm kennen, aber die Mechanismen verstehen. Wenn alle von einem neuen Spiel reden, dann muss man sich dieses Spiel installieren und zwei Wochen lang eine halbe Stunde jeden Tag spielen. Keine Zeit ist keine Ausrede. Erwachsene sollten sich gerade mit Onlinespielen auskennen, denn Kinder steigen nicht mit Instagram in ihr digitales Dasein ein, sondern mit Games. Drittens: Die Kinder aufklären. Verfügen Erzieher oder Eltern über die Wissenshoheit, können sie die Kinder besser aufklären. Außerdem erkennen Kinder, dass die Erwachsenen sich auch gut mit digitalen Medien auskennen und holen dadurch eventuell eher Rat ein, wenn sie mit digitalen Risiken konfrontiert sind. Verbote bringen nichts und führen oft zum Gegenteil. Viertens: Vorbild sein. Wenn Eltern ihr Kind selbst wie wild bei Instagram posten oder als Profilbild bei WhatsApp einsetzen, wird es ihnen schwerfallen, den Kindern zu vermitteln, vorsichtig beim Posten zu sein. Man sollte sich seiner Vorbildfunktion immer bewusst sein.

Sie sind bekennender Gamer, Sie haben Profile auf LinkedIn, Xing, Facebook, TikTok, Instagram. Sie sind selbst schon ein Influencer. Was haben Sie dabei erlebt?

Ich glaube tatsächlich, dass ich eine gewisse Reichweite entwickelt habe, was vorteilhaft ist, um den Kinderschutz im digitalen Raum auch gesellschaftlich voranzubringen und Erkenntnisse der Cyberkriminologie zu vermitteln. Im Gegenzug habe ich festgestellt, dass für die Nutzer tatsächlich Ansprechpartner fehlen. Ich kriege jeden Tag Fragen zu allen möglichen Feldern, die kann ich alle gar nicht beantworten. „Schauen Sie sich mal diesen Link oder Account oder dieses Phänomen an“ – und genau das ist das, was ich meine. Es müsste konkrete Ansprechpartner bei den Sicherheitsbehörden geben, die man direkt und zeitnah auf Sachverhalte hinweisen kann. Ich bekomme aber tatsächlich auch schon die eine oder andere Hassnachricht, das gehört vermutlich dazu.

Herzlichen Dank für das Interview! Es gibt noch so viel zu tun, ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit. Die Gesellschaft muss sich bewegen.

Interview: Annette Weiß
Red. Bearbeitung: Uwe Breitenborn

Foto: Tablet-Polizist (Quelle: Breitenborn | MWP)
Foto: Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger (Quelle: @STINE PHOTOGRAPHY)

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