Smartphones in der Schule und Social Media erst ab 16? Der Umgang mit Smartphones und Social Media bei Kindern und Jugendlichen wird derzeit kontrovers diskutiert. Die ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studie 2022 befeuerten die Debatte zusätzlich. Ein häufig genannter Grund für den Leistungsabfall: die ständige Ablenkung durch digitale Geräte. Vor diesem Hintergrund fordern viele ein generelles Handyverbot an Schulen und ein Mindestalter von 16 Jahren für die Nutzung sozialer Netzwerke. Aber ist das sinnvoll?
Das Team der Medienwerkstatt bezweifelt das und hat die Argumente genauer unter die Lupe genommen. Viele Medienpädagog:innen warnen vor vermeintlich einfachen Lösungen. Statt pauschaler Verbote fordern sie einen reflektierten Umgang und den gezielten Aufbau von Medienkompetenz.
Gesundheitliche Aspekte sprechen aus Sicht vieler Eltern und Ärzte für restriktivere Regeln. Schon 51 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen besitzen ein eigenes Smartphone (KIM-Studie 2022), bei älteren Kindern und Jugendlichen liegt dieser Wert bei nahezu 100 Prozent. Die aktuelle DAK-Studie 2024 (Link unten) konstatiert, dass bei Kindern und Jugendlichen die exzessive bis riskante Mediennutzung im Bereich Gaming und Social Media mit psychosozialen Auswirkungen zwar leicht rückgängig ist, aber insgesamt weist weiterhin mehr als jedes vierte Kind im Alter zwischen 10 und 17 Jahren in Deutschland problematische Nutzungsmuster auf. Folgen sind unter anderem Schlafmangel, depressive Verstimmungen, soziale Rückzugsphänomene und Konzentrationsschwächen. Auch international werden die Folgen ernstgenommen. In Australien wurde 2024 ein Gesetz verabschiedet, das Social-Media-Plattformen bei Zuwiderhandlung gegen das Mindestalter mit empfindlichen Geldstrafen belegt. Frankreich hat 2018 ein umfassendes Handyverbot für Kinder unter 15 an Schulen eingeführt – inklusive der Pausen. Befürworter von Verboten verweisen auf deutliche Risiken. Intensive Handynutzung stehe im direkten Zusammenhang mit schlechteren Schulleistungen. Eine Analyse der OECD kam zu dem Schluss, dass häufige private Handynutzung einen stärkeren negativen Einfluss auf schulische Leistungen hat als pandemiebedingte Ausfälle. Auch das soziale Klima leidet: Lehrkräfte berichten von mehr Ruhe und stärkerem Zusammenhalt in Klassen, in denen Handys nicht sichtbar sind. Aufmerksamkeitswerte verbessern sich. Eine Studie der Universität Augsburg aus dem Jahr 2024, die diesen Aspekt in fünf europäischen Ländern untersuchte, bestätigte die Annahme, dass Smartphoneverbote sowohl das soziale Wohlbefinden als auch die Lernleistungen von Schüler:innen steigern (Link siehe unten). Doch es gibt auch andere Perspektiven auf das Thema.
Kritiker solcher Verbote bezweifeln deren Wirksamkeit und Nachhaltigkeit. Ein Verbot in der Schule führt nicht automatisch zu weniger Bildschirmzeit – vielmehr wird das Versäumte oft zu Hause nachgeholt. Ohne pädagogische Begleitung verlagert sich das Problem lediglich. Auch Schülervertretungen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnen: Wer Smartphones pauschal aus Schulen verbannt, nimmt jungen Menschen die Möglichkeit, einen reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu erlernen. Schulen seien geradezu prädestiniert, Medienkompetenz in einem geschützten Rahmen zu fördern. Auch die Augsburger Studie mahnt letztlich: Ohne begleitende Bildungsmaßnahmen bewirken Handyverbote nur wenig.
Ein anschauliches Zine zum Smartphoneverbot fasst die Argumente griffig zusammen und kann gern geteilt werden.
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Hinzu kommt: Soziale Medien sind ein zentrales Element der Identitätsbildung bei Kindern und Jugendlichen. Eine pauschale Altersbeschränkung schneidet sie von wichtigen Entwicklungs- und Erfahrungsräumen ab – das ist kaum zielführend. Auch viele Eltern sprechen sich aus praktischen Gründen gegen ein Verbot aus: Die ständige Erreichbarkeit ihrer Kinder – sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Alltag – ist für sie essenziell. Ein Blick in die Forschung zeigt: Eine einfache Lösung gibt es nicht. Besonders sensible Entwicklungsphasen, etwa zwischen 11 und 14 Jahren, machen Kinder anfälliger für negative Einflüsse wie exzessive Mediennutzung. Gleichzeitig kann Social Media auch positive Funktionen erfüllen – etwa durch kreative Ausdrucksmöglichkeiten, soziale Vernetzung oder das Gefühl von Zugehörigkeit in digitalen Communities. Entscheidend ist nicht das Verbot, sondern das richtige Maß und eine begleitete Auseinandersetzung.
Die internationale Praxis ist uneinheitlich. In Deutschland kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Während Berlin auf schulinterne Regeln und Medienbildung setzt, hat Bayern das Handyverbot im Unterricht gesetzlich verankert. Hessen plant ein Verbot der privaten Handynutzung auf dem Schulgelände ab dem Schuljahr 2025/26 – mit Ausnahmen für den Unterricht, wenn Lehrkräfte es erlauben. In Skandinavien ist ein klarer Trend erkennbar: Schweden, das einst auf frühe Digitalisierung setzte (z.?B. Tablets in Kitas), rudert zurück und verbietet private Geräte zunehmend. Auch Dänemark hat 2025 ein Gesetz zur Handyfreiheit an Schulen verabschiedet.
Was also tun? Viele Fachleute empfehlen einen realistischen Mittelweg. Offline ist kein Unterrichtskonzept: Schulen sollten gemeinsam mit Schülervertretungen klare, praktikable Regeln entwickeln. Beispielsweise: Smartphones im Unterricht ausschalten und in einer Sammelbox lagern – außer wenn sie gezielt im Unterricht eingesetzt werden. In Pausen könnten definierte Zonen mit oder ohne Handynutzung eingerichtet werden. Entscheidend ist, dass Regeln transparent, altersgerecht und konsensorientiert sind – das fördert Akzeptanz und Eigenverantwortung.
Gleichzeitig braucht es systematische Medienbildung im Schulalltag. Jugendliche sollen lernen, Informationen zu bewerten, ihre Privatsphäre zu schützen und mit problematischen Inhalten souverän umzugehen. Workshops zu Themen wie Cybermobbing, Datenschutz oder Fake News können dazu beitragen. Auch Eltern sind gefragt: durch klare Absprachen, technologische Hilfen (z.B. Datenschutzeinstellungen, App-Zeitlimits) – und vor allem durch echtes Interesse an der digitalen Welt ihrer Kinder. Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen und Begleitung sind der Schlüssel. Mit unserer Fachstelle zur Medienkompetenzvermittlung an Potsdamer Grundschulen und Angeboten wie Digidu oder Digital Talents macht die Medienwerkstatt hierzu ganz konkrete Angebote.
Letztlich geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch: Ja, klare Regeln sind notwendig – besonders dort, wo Ablenkung und Missbrauch überhandnehmen. Aber ebenso wichtig sind Aufklärung, Vorbilder und die Vermittlung digitaler Selbstständigkeit. Denn ein Verbot ohne Bildung bleibt oberflächlich. Nicht das Handy soll die Schule verlassen – sondern die Ahnungslosigkeit. [UB | MWP]
Quellen:
Deutsches Schulportal: Handyverbot an Schulen – ja oder nein: Was sagen die Studien?
https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/handyverbot-an-schulen-ja-oder-nein-was-sagen-die-studien/
Gesetzliches Smartphoneverbot an Schulen? Pädagogische Impulse zu einer komplexen Herausforderung.
https://smartphoneverbot.de
Studie Universität Augsburg (2024) zur Smartphonenutzung in Schulen.
https://www.uni-augsburg.de/de/campusleben/neuigkeiten/2024/09/04/smartphone-verbot-an-schulen-sinnvoll-wenn-padagogisch-begleitet/
DAK-Studie 2024: Problematische Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen. Hamburg 2025.
https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/dak-studie-mediensucht-2024_91442#rtf-anchor-auf-einen-blick-zentrale-ergebnisse-der-siebten-befragungswelle
PISA Studie 2022
https://www.pisa.tum.de/pisa/pisa-2022/
KIM-Studie 2022: Kindheit, Internet, Medien (6-13 Jahre). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.
https://mpfs.de/studie/kim-studie-2022/
Beitragsfoto (oben) erstellt mit Dall-E.